Presse/Texte

Auszug aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung eines Schriftkubus mit dem Titel one by one the words find a home in my heart von Ute Bernhard in der Citykirche Koblenz, geschrieben und gehalten von Micha Flesch, dem Kulturbeauftragten des Bistums Trier am 05.03.2017:

„ …Das Kunstwerk bietet bis zuletzt Raum für das Geheimnis, Verborgenes lässt die Frage nach der Bedeutung des Werkes unbedingt offen. Gleichwohl beschwört sie den Inhalt, getrieben von der Sehnsucht, die Wahrheit in und mit den Worten erfassen zu können.

Solche Sehnsucht nach Wahrheit schließlich ist es, die dem Werk Ute Bernhards den Weg in einen sakralen Raum öffnet. Kunst ist eben nicht, wie mancher meint, unverständlicher Einfall und Erzeugnis der Phantasie und deshalb wirklichkeitsfremd, als Reich unwirklicher Träume mit Wahrheit von Grund auf verfeindet, Kunst ist auf Wirklichkeit hin geordnet, die Wirklichkeit stets suchend. Dabei kann sie nicht an der Oberfläche bleiben, sondern es geht um ein Durchdringen und Durchtönen, ein “per-sonare“, um zu schauen, was sich hinter Vordergründigem verbirgt. Kunst ist daher immer etwas höchst-persönliches. Die Wahrheitserkenntnis einer Künstlerin oder eines Künstlers ruht auf einer seelischen Schaukraft, die weltdurchdringend das Symbolische zu erheben vermag. Es ist eine der Abstraktion analoge und verwandte Fähigkeit, die schöpferisch die Transformierung des Sinnlichen ins Seelische vornimmt und umgekehrt den Ausdruck des Seelischen im Sinnlich-Künstlerischen. Intuition und Verwandlungskraft, beides ist hier am Werke.

Äußerer wie innerer Gegenstand der künstlerischen Kraft ist das Körperhafte und das Seelische, das Personale, Konkret-Geistige. Die bildhafte und erlebnishafte Erkenntnis des Künstlers ist dem Konkreten zugeordnet und kehrt in der Expression des Kunstwerks wieder zu diesem zurück. Nur ist das Geschaute nun nicht mehr Natur sondern gezeichnet mit dem Geist, der darin seine Entdeckung der symbolischen Wahrheit beschreibt. Deshalb wendet sich das Kunstwerk wiederum nicht zuerst an den Denker, sondern an den dem Künstler kongenialen Menschen, der die gewonnene Deutung und Welterfahrung ins Innere zurücknimmt.

Kunst ist eine Philosophie des Konkreten.“

Ausschnitt aus der Einführungsrede zur Ausstellung Ute Bernhard IKKP Rehau 16. März 2007 von Dr. Nortrud Gomringer

Ute Bernhard, die Künstlerin, der wir die heutige Ausstellung verdanken, verfolgt einen anderen künstlerischen Ansatz zum Umgang mit Echtzeit mit der Implikation der festgehaltenen eigenen Lebenszeit. Und nachdem das ihr Thema und Interessengebiet ist, verdient natürlich auch der Lebenslauf von Ute Bernhard einen besonderen Platz, weshalb ich ihn hier einfüge:

Die Künstlerin wurde 1966 in Bayreuth geboren und absolvierte ihr Studium der Malerei und Kunsterziehung an der Kunstakademie Karlsruhe. Nach einem einjährigen Lehrauftrag an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe ist sie seit 1993 als freischaffende Künstlerin tätig. Ute Bernhard lebt und arbeitet in Koblenz. Sie hatte Einzelausstellungen in Tübingen, Freiburg, Selb, Münchberg und Saint Etienne und war an zahlreichen Gruppenausstellungen beteiligt.

Ute Bernhard macht den Fortgang der Zeit mit Hilfe von sprachlichen Zeichen sichtbar. Dahinter steht die tiefe Erkenntnis, dass nicht die Jahre vergehen, sondern wir. Es geht ihr um eine individuelle Seins-Vergewisserung im Lauf der Zeit. Wie macht die Künstlerin das? In der Ausstellung erkennen wir mehrere Werktypen. Auf dem einen sind weiß beschriftete dunkle Bildtafeln oder auch helle, schwarz beschriftete Hintergründe aus Holz oder Baumwolle zu mehrteiligen - von vier- bis 41teilig - Kunstwerken geordnet, auf einem anderen Typus ist die Schrift jeweils durch das zentrierte Piktogramm einer weiblichen Figur in unterschiedlichen Sitz- oder Stehpositionen ergänzt. Hier gibt die Schrift der Figur sozusagen einen Halt. Von der anderen Warte aus gesehen, bildet die Schrift einen feinen Reifrock für die Figur.

Die Schrift, die Ute Bernhard verwendet, ist Schönschrift. Nicht ihre individuelle Handschrift kommt zum Einsatz, sondern eine "Kunstschrift" bzw. eine besondere Ausprägung von Schrift, die mehr Zeit und Anstrengung erfordert und von der Person der Künstlerin ablenkt, indem sie sich einer graphologischen Interpretation weitgehend verweigert und in der vorgeführten Menge, einer gewissen Monotonie und Regelmäßigkeit eher den Meditationsübungen zuzuordnen ist. Auch fehlen in Ute Bernhards Texten meist die Verben, die im Deutschen ja u.a. Tätigkeitswörter heißen. Das verweist ebenfalls auf eine meditative Dimension. Zahlen kommen lediglich als Datumsangaben vor, die doch besonders markant Ereignisse fixieren.

Und woraus bestehen die Texte auf den Bildtafeln? Es gibt - wie schon gesagt - Tafeln mit genauen Datumsangaben, die die Zeit besonders markant fixieren. Sie sind mit einzelnen Wörtern oder auch Satzfragmenten verbunden und widerholen sich ständig. Auf anderen Tafeln stehen Aussagesätze, von denen Sie ein Beispiel auf der Einladung zur Ausstellung sehen. Bei einem weiteren Gestaltungstypus besteht der Text nach einer strengen Normauffassung aus ungrammatischen Sätzen, wobei jede Zeile mit einem bestimmten Artikel beginnt (z.B. die Pflanzungen der Künstlerin).

Einfachste Aussagesätze nach dem Muster Subjekt - Prädikat (z.B. die Künstlerin schreibt) ohne jede adjektivische oder attributive Ergänzung bzw. ein rein funktionales Wort ohne großen semantischen Eigenwert, das im Ursprung allerdings hinweisende Bedeutung hat, wiederholt an erster Stelle einer Zeile, belegen ebenfalls die Zurücknahme der Ute Bernhard in persona zugunsten der "Künstlerin", die sich auf anderen Bildtafeln aber alles Mögliche in Form des Genitivus possessivus zu-schreibt, der Besitz und Zugehörigkeit nennt. Bei diesen Zuschreibungen dominieren die Konkreta (z.B. das Lied der Künstlerin), welche Dinge oder Sachverhalte benennen, die keinem Menschenleben fremd sind. Und doch bekommen diese Dinge/Sachverhalte eine besondere Intensität durch die gebetsmühlenartige Wiederholung der gleichen Wortgruppen bzw. Sprachstrukturen. Gebetsmühlen werden ja gedreht, um körperliche Aktivität und geistig-spirituelle Inhalte miteinander zu verknüpfen mit dem Ziel, alle Aspekte der Lebenswirklichkeit in einen Pfad zur Erleuchtung zu integrieren. Die Gebetsmühlen von Ute Bernhard sind ihre Texte. Sie haben eine große Kraft, die es der Künstlerin ermöglicht, sich selbst zu lesen und zu einer Expertin ihrer selbst zu werden.
© Nortrud Gomringer